Wohlfahrtsverbände in der Pflicht! – von Lars Harden

Lars Harden

Man mag es ja schon nicht mehr hören, wo, wer und was alles digitalisiert werden soll. Machen wir es mit Carly Fiorina oder auch Angela Merkel kurz: „Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert.“ Das sagen die meisten und denken vielleicht sogar alle. Aber danach handeln? Das bleibt für den Moment eher Digital-Avantgardisten vorbehalten, die den Großteil ihrer Kolleginnen und Kollegen begeistern müssen. So auch in der Wohlfahrtspflege.

Aber warum tun sich die Verbände beim Thema Digitalisierung schwer? Warum, an welchen Stellen und wie sollten sie Digitalisierung vorantreiben? Und was können sie tun, um sich und ihre Angebote zu digitalisieren?

Warum tut sich Wohlfahrtspflege schwer?

Meinem Eindruck nach ist der Veränderungsdruck im Bereich der Wohlfahrtspflege sehr hoch, der Veränderungswille hoch und die Veränderungsgeschwindigkeit niedrig. Das hat mindestens drei Gründe: Zum einen sind Wohlfahrtsverbände besonders komplexe Organisationen, die vielfach über differenzierte Gremienstrukturen verfügen, dezentral aufgestellt sind und über viele Jahrzehnte in etablierten Zusammenhängen arbeiten. Zum anderen sind die Dienstleistungen eines Wohlfahrtsverbandes am Ende auf die konkrete Unterstützung von Menschen ausgerichtet und erfordern vielfach einen „Face-to-Face-Kontakt“. Und drittens geht es um Wohlfahrt und nicht um Gewinnmaximierung. Es werden Dienstleistungen erbracht, die einen sozial-moralischen Wert in sich tragen, unabhängig von der generellen Marktfähigkeit der Leistungen. Die Wohlfahrtsverbände und die ihnen angeschlossenen Einrichtungen kümmern sich um Gesundheit, Pflege, Betreuung, Unterstützung, Erziehung, Bildung etc. Das verstehen sie auch dort als ihre Aufgabe, wo kein Geld zu verdienen ist.

Doch die Geschwindigkeit der Digitalisierung ist an anderen Stellen rasant. Am sichtbarsten wird die Dynamik für uns Endverbraucherinnen und Endverbraucher im E-Commerce. Der Internethandel hat den stationären Handel bereits komplett verändert und dominiert ihn in einigen Bereichen wie Mode, Elektronik und Sport zunehmend. Gleiches gilt für soziale Netzwerke, die massiven Einfluss auf unsere private und auch die öffentliche Kommunikation haben. Die derzeitige Debatte um die Möglichkeiten der Digitalisierung dreht sich vielfach um so genannte KI (Künstliche Intelligenz) und ist von vielen Hoffnungen und Sorgen geprägt. Die einen prognostizieren mehr Wohlstand, Sicherheit, Komfort und Lebensqualität, die anderen haben Sorge vor Überwachung, Aufmerksamkeitsökonomie und Arbeitsplatzverlusten. Diese Erwartungen spielen auch für die Mitarbeitenden der Wohlfahrtsverbände eine Rolle, doch derzeit wird der gesamte Prozess der Digitalisierung vor allem von Wirtschaftsakteurinnen und -akteuren sowie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geprägt.

Also warum sollten Wohlfahrtsverbände ihre Bemühungen um Digitalisierung vorantreiben?

Darauf kann es nur eine Antwort geben: Weil digitale Tools, Produkte und Dienstleistungen die Arbeit in der Wohlfahrtspflege erheblich erleichtern können – allerdings nur, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen. Ein Beispiel: Wenn in einem Krankenhausbetrieb eine Messenger-Software bereitgestellt werden soll, die datenschutzkonform das Bearbeiten von Dienstplänen erlaubt, diese aber hinter den gewohnten Möglichkeiten von z. B. WhatsApp mit Blick auf den Nutzungskomfort zurückbleibt, sollte man darauf lieber verzichten. Mit größter Wahrscheinlichkeit wird der neue Messenger nämlich nicht genutzt werden. Damit werden begrenzte Budgets unnötig belastet und es wird kein einziges Problem gelöst. Wir Menschen sind es in unserem privaten Umfeld nämlich gewohnt, dass wir Produkte und Dienstleistungen erhalten, die schnell, individualisiert und in höchster Qualität bereitgestellt werden. Warum sollte das in den Bereichen Bildung, Erziehung, Pflege, Therapie etc. nicht auch der Fall sein?

Um die Dominanz von Wirtschaftsunternehmen in der aktuellen Phase der Digitalisierung aufzubrechen, müssen Akteure aus den Feldern Gemeinwohlökonomie, Bildung, Kirche und eben auch aus der Wohlfahrt stärker gehört werden und sich Gehör verschaffen. Denn sie sind es, die die Menschen jenseits ihrer konsumorientierten Bedürfnisse kennen und betreuen. Sie sind es, die den digitalen Wandel für die ihnen anvertrauten Menschen in sozialer Verantwortung gestalten müssen. Das heißt konkret: Wohlfahrtsverbände stehen in der Pflicht, für ihre Mandantinnen und Mandanten von der Kita bis zur Wohnungslosenbetreuung die Möglichkeiten und Vorteile der Digitalisierung zu ermitteln und zu nutzen. Sie tragen Verantwortung dafür, dass ihre Klientinnen und Klienten aus digitalen Räumen und Entwicklungsfeldern nicht ausgeschlossen werden.

Was können die Wohlfahrtsverbände tun, um sich selbst und ihre Angebote zu digitalisieren?

Damit die Verbände dazu in der Lage sind, müssen sie sich selbst als Organisationen intensiv mit der Veränderungsdynamik befassen und sich von innen digitalisieren, wo immer es sinnvoll und notwendig ist. Hier sind Wissensmanagement, E-Learning, digitale Verwaltung und interaktive Kommunikationsprozesse nur einige Schlagworte. Zugleich sollen sie in der Lage sein, digitale Angebote mit Mehrwert für ihre Zielgruppen zu entwickeln. Angesichts der Strukturen der Wohlfahrtsverbände sind vor allem vier Punkte zu adressieren, die Digitalisierung erleichtern:

  1. Management und Vorbildcharakter: Nur wenn die Verbandsleiterinnen und
    -leiter Digitalisierung fordern und fördern, können sich die Organisationen verändern. Die wichtigsten Führungskräfte müssen agile Arbeitsweisen und Strukturen etablieren, die für digitalen Wandel notwendig sind. Idealerweise gehen sie mit gutem Beispiel voran, machen das Thema zur Chefsache und missverstehen Digitalisierung nicht als IT-Projekt.
  2. Teams und flache Hierarchien: Je größer Organisationen sind, desto schwieriger ist es digitalen Wandel zu etablieren. Daher gilt es agile Teamstrukturen und flache Hierarchien zu entwickeln, in denen Projekte auch einmal misslingen können, ohne gleich die gesamte Organisation in Schwierigkeiten zu bringen.
  3. Vernetzung: Digitale Produktivität wird gestärkt, wenn Mitarbeitende jenseits von Abteilungs- und Disziplingrenzen zusammenarbeiten und sich leichter und schneller vernetzen können. Mitarbeitende brauchen dazu mehr Handlungsspielräume und Verantwortung.
  4. Perspektive der Zielgruppen: Nur wenn die Bedürfnisse einzelner Zielgruppen, Klientinnen und Mandanten bekannt sind, lassen sich passgenaue digitale Angebote entwickeln. Idealerweise spielen die Zielgruppen im Entwicklungsprozess bereits eine prägende Rolle.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, können Wohlfahrtsverbände ihre Verantwortung für die eigene Organisation und ihre Zielgruppen mit Blick auf die Digitalisierung wahrnehmen. Am Ende eines jeden klugen Digitalisierungsprozesses ist sowohl für Mitarbeitende als auch für Nutzerinnen und Nutzer irgendetwas besser, bequemer, schneller oder effizienter als zuvor. Wenn das nicht der Fall ist, sollte man es lieber lassen.

Kontakt:

Prof. Dr. Lars Harden (Geschäftsführer)

Telefon: (0511) 51 56 78 – 0

E-Mail: harden@aserto.de

Dr. Lars Harden ist Geschäftsführer des Beratungsinstituts aserto in Hannover und nebenberuflich Professor der Hochschule Osnabrück. Er meint: „Wie in vielen Zusammenhängen kann man auch im Themenfeld Digitalisierung bessere Entscheidungen treffen, wenn man mehr weiß. Die Wohlfahrtsverbände sind gerade dabei, sich dieses Wissen anzueignen. Es ist sinnvoll, dass sie sich vernetzen, um kostbare Erfahrungen zu teilen.“

Foto: aserto

Kommentar verfassen